Das Dokumentations-Anliegen

Foto: Brian Grant/ Sylvia Skinner
Foto: Brian Grant/ Sylvia Skinner

Eine der Schlüsselfiguren:

Otto Hess alias Peter Giles, geboren 1921 in Mainz, gestorben 1944 als britischer Geheimagent in Kroatien.

 

Seit 1997 arbeite ich daran, ein deutsch-jüdisch-britisches Phänomen aus der NS-Zeit für die Öffentlichkeit hier in Deutschland zu dokumentieren:

den bewaffneten Widerstand junger Männer, die zur Flucht gezwungen worden waren - und von Großbritannien aus versuchten, Hitlers menschenverachtendes totalitäres Regime zu bekämpfen.

Mir geht es um die Kenntnisnahme und die Würdigung dieses Vorgehens als eine legitime Widerstandsform für NS-Flüchtlinge. Ebenso anerkennens- und gedenkenswert wie der Widerstand in Deutschland aus der Wehrmacht und Graf Stauffenbergs Attentat!

 

Der zeitgeschichtliche Hintergrund

In den britischen Streitkräften kämpften ab 1943 (als die Regierung allen Flüchtlingen den freiwilligen Kriegsdienst in den Streitkräften erlaubte) etwa 7000 Deutsche und 3000 Österreicher einzeln und in kleineren Gruppen auf viele Einheiten verteilt. Viele dieser Männer hatten sich gleich nach ihrer Flucht oder der Kriegserklärung im September 1939 als kampfwillige "Feindausländer" um die Aufnahme in die britische Armee beworben - waren aber nur den unbewaffneten Arbeitsdienst-Kompanien des Military Pioneer Corps zugewiesen worden. Als die Wehrmacht im Frühjahr 1940 Frankreich überrannt hatte und das britische Expeditionskorps sich nach Dünkirchen zurückziehen musste, wurden allerdings einige Einheiten des Pioneer Corps bewaffnet, nach Frankreich verschifft und bei den Abwehrkämpfen eingesetzt. Hier erkannte man auch den Wert der Männer für den militärischen Nachrichtendienst und für geheimdienstliche Aufgaben. Gerade unter den Jüngeren brauchten die Planer von Geheimmissionen nicht lange nach entschlossenen, abenteuerlustigen und ausbildungswilligen Kandidaten zu suchen...

Weil Großbritannien damals im Kampf gegen Hitler und seine schier übermächtige Wehrmacht ganz alleine dastand - und die Nation in Winston Churchill einen so mutigen, einfallsreichen und ständig fordernden Kriegs- und Premierminister bekommen hatte, aktivierte die Gesellschaft wieder einmal alle guten, als typisch britisch betrachteten Eigenschaften wie Solidarität, Zuversicht, Entschlossenheit und Improvisationstalent. So entstanden schnell gestrickte Konzepte für unorthodoxe, innovative Militäreinheiten; aber auch für Abwehrmaßnahmen wie Guerillakampf im Feindesland mit Sabotage, Subversion und Propaganda. Die Organisation dafür erhielt die Tarnbezeichnung SOE (Strategic Operations Executive) und wurde gegen den erklärten Willen des Auslandsgeheimdienstes (SIS oder auch MI6) 1940 neu geschaffen.

Für die große Zahl der noch auf ihre Militärzulassung hoffenden Flüchtlinge machte der Frühsommer 1940 aber allen hochfliegenden Plänen ein Ende. Aus Angst vor der deutschen Invasion und der Unterwanderung durch Agenten unter den Flüchtlingen wurden die Feindausländer verhört, in Gefährlichkeits-Kategorien eingestuft und schließlich in Internierungslager gesteckt. Wer nicht einflussreiche Bekannte oder Verwandte in Großbritannien hatte oder spätestens bis April 1940 ins Pioneer Corps aufgenommen worden war, der fand sich in einem Camp hinter Stacheldraht wieder. Von den rund 65 000 überwiegend aus Deutschland und Österreich geflohenen Männern, Frauen, Kindern und Jugendlichen im Land hatten die Briten im Juli 1940 rund 27 000 Männer jeden Alters interniert. Alleine 7 000 auf der Isle of Man. Einige tausend wurden unter menschenunwürdigen Bedingungen als "gefährliche Nazis" jeweils nach Kanada und Australien deportiert. Bitter für die Flüchtlinge, dass sie nun auch von den Briten wie Staatsfeinde behandelt wurden. Bei etlichen Deportierten dauerte es ein Jahr und länger, bis sie die Möglichkeit bekamen, sich für den Dienst im Pioneer Corps zu melden und so wieder nach Großbritannien zurück zu kommen. Dort hatte sich 1941 die Unterwanderungshysterie im Staatsapparat gelegt. Nicht zuletzt durch Proteste aus der Bevölkerung erhielten Internierte und Deportierte nach und nach wieder volle Ausländerrechte.

 

Die Vorgeschichte des Projekts

1997 bin ich in einem Buch des britischen Militärhistorikers Ian Dear erstmals auf den Namen Otto Hess und dessen Tarnnamen Peter Giles gestossen. Das Buch behandelt die Geschichte des 10. (Inter-Alliierten) Commando - einer Militäreinheit, die die Briten während des Zweiten Weltkriegs in erster Linie für Flüchtlinge aus Europa schufen, deren Heimatländer von den Nazis besetzt worden waren und Exilregierungen in London unterhielten. Den geflohene Ausländern sollte damit die Möglichkeit gegeben werden, aktiv an der Befreiung ihrer Heimat mitzuwirken. Die Nationen war darin mit eigenen, in See- und Luftlandungen sowie geheimer Kriegsführung ausgebildeten Einheiten vertreten.  

Für die geflohenen Deutschen und Österreicher hatte man eigens eine getarnte Spezialeinheit von rund 100 Mann in das 10. Commando integriert: den 3.Trupp, der auch "british troop" genannt wurde.

Die freiwilligen Kämpfer dafür wurden ab Frühjahr 1942 unter strengster Geheimhaltung in Schottland und Wales für den Einsatz hinter den deutschen Linien im besetzten Europa ausgebildet. Zu den ersten acht gehörte Otto Hess. Nach den Recherchen Ian Dears soll er die Einheit gegen Ende 1942 wieder verlassen haben und 1943 auf einer Geheimmission in Jugoslawien getötetet worden sein. Mehr war damals nicht über Otto Hess zu erfahren...

Einige der später in Aberdovey in Wales sowie in Eastbourne und Littlehampton ausgebildeten Deutschen und Österreicher lernte ich aber sogar näher kennen. Durch ihre Vermittlung konnte ich 1999 beim letzten Veteranentreffen der Einheit in Wales dabei sein. 

Mich interessierten vor allem die Lebensgeschichten der wenigen, die den Krieg überlebten und danach wieder in ihre alte Heimat zurückkehrten oder weiter Kontakte unterhielten.

 

In Zusammenarbeit mit meinem Kollegen Matthias Schwincke und mit der Unterstützung eines Insiders in London war 1998 schon eine TV-Dokumentation über den 3 troop vorbereitet worden, die NDR und HTV Wales 1999 in Koproduktion herstellen wollten.

Aber dann kam alles ganz anders: Unser wichtigster Heimkehrer-Zeitzeuge Karl-Ernst Levy (Tarnname Kenneth Lincoln) starb zum Jahreswechsel 1998/99. Kurz danach entschied die NDR-Redaktionskonferenz, dass man das Thema nun doch nicht realisieren wolle. Dabei hatte ich für die beim letzten 3 troop-Veteranentreffen im Mai 1999 vorgesehenen Film-Interviews bereits 19 Zusagen erhalten.

Die Enttäuschung war nun um so größer, als wir selbst die Produktion nicht realisieren konnten und die einzigartige Chance ungenutzt lassen mussten, die sonst überwiegend im englischen Sprachraum verstreut lebenden Veteranenen an einem Ort befragen und filmen zu können...