Kurze Entwicklungsgeschichte des Rittertums

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Kreuzritter betet vor dem Kampf

(British Museum, London)

 

Das Wort Ritter (abgeleitet von Reiter) hat sich erst ab dem 12. Jahrhundert entwickelt. Die übliche Bezeichnung für Ritter in den bis ins 14. Jahrhundert lateinisch abgefassten Dokumenten lautete miles (altlateinisch: Soldat; Bedeutung im Mittelalter: Krieger zu Pferd).

Diese miles entstanden als Kriegerkaste im frühmittelalterlichen Frankenreich, weil der König immer wieder – wie man heute sagt – eine „schnelle Eingreiftruppe“ zur Verstärkung seines Wehrpflichtheeres aus Fußsoldaten brauchte. Wer an den Grenzen des Reichs gegen Awaren, Mauren und Normannen kämpfen sollte, der konnte die großen Entfernungen nur zu Pferd in einer angemessenen Zeit überwinden.

Die Verpflichtung, Kriegsdienst zu leisten, geht schon auf die Vasalität aus keltischer Zeit zurück. Damals – und ebenso in den darauf folgenden Epochen – wurden die Stammesanführer von den freien Stammesangehörigen gewählt. Wenn der Stammesfürst zum Feldzug rief, dann waren die hauptberuflichen Bauern und Handwerker in seinem Herrschaftsgebiet zur Gefolgschaft verpflichtet. Im Lauf der Jahrhunderte zeigte sich aber, dass für die nebenberuflichen Kämpfer Ausrüstung, Bewaffnung und der Unterhalt mehrerer Pferde immer teuerer wurden. Ein Pferd hatte z.B. bereits den Gegenwert von 12 Kühen. Deshalb erließ Karl der Große Anfang des 9. Jahrhunderts eine Heeresreform. Danach waren nur noch solche Vasallen zum Wehrdienst verpflichtet, die sich das auch leisten konnten; sprich: mindestens drei bis vier Hufen Ackerland besaßen. (Eine Hufe war nicht exakt genormt, sie konnte nach heutiger Maßeinheit sieben bis zehn Hektar umfassen). Den weniger Begüterten (pauperes = Unvermögende) wurde gestattet, dass mehrere aus ihrem Kreis einen Kämpfer zu Pferd wählten und sich die Kosten für seine Ausstattung teilten.

In der Folge verlagerte sich das Soldatentum mehr und mehr auf die wohlhabenderen Freien und die Angehörigen der Oberschicht: die so genannten potentes = Mächtigen. Um sich die Treue dieser Krieger zu sichern und als Ausgleich für deren Aufwendungen übertrugen die großen Landbesitzer – der König, Herzöge, Bischöfe und Grafen – leihweise Landgüter (die so genannten Lehen) an ihre Gefolgsleute. Ärmere Freie waren dagegen gezwungen, ihr Land den großen Grundbesitzern aufzutragen, um Schutz, Nahrung und Kleidung zu erhalten. Damit wurden sie zu abhängigen Bauern.

Als diese Landübertragungen ab dem 11. Jahrhundert erblich wurden, entstand eine soziale Rangfolge und Lehenspyramide. An ihrer Spitze standen die alten Geschlechter mit Großgrundbesitz und/oder hohen Amts- oder Dienstfunktionen (ursprünglich als nobilis = Edle; erst in der Renaissance als „Adel“ bezeichnet), die unmittelbar vom König belehnt worden waren. Darunter folgten freie oder unfreie Aufsteiger, die von höher Stehenden als Dienstleute (so genannte Ministeriale) eingesetzt worden waren. Die Basis der Pyramide bildeten die zahlenmäßig stärksten Bevölkerungsgruppen: Bauern, Knechte und Handwerker sowie der niedere Klerus (Mönche und Pfarrer).

Typische Ministerialentätigkeiten waren Verwaltungs- und Aufsichtsaufgaben, z.B. das Vogtamt, das über Ländereien, Hofgüter, Kirchen, Klöster, Dörfer und Burgen ausgeübt werden konnte. Vor allem gehörte der Wehr- und Kriegsdienst zu den Aufgaben der Ministerialen. So bekam das bislang von den alten Geschlechtern ausgeübte Öffentliche Dienst- und Schutzwesen einschließlich des Militärdienstes (militia genannt) erheblichen Zuwachs durch ehrgeizige Unfreie aus dem Bauern- und Handwerkerstand. Sie konnten sich in diesen Diensten auszeichnen, zum Dank dafür belehnt werden und z. B. durch Heirat noch weiter aufsteigen.

In Deutschland entwickelte sich innerhalb der etablierten Kriegerkaste oder des Berufssoldatentums mit Spezialisierungen und Hierarchien wie Panzerreiter, leichter Reiter und Edelknecht erst im 12. Jahrhundert ein Standesethos und eine Lebenshaltung, die man später „Rittertum“ nannte.

Ein wesentlicher Bestandteil war die Perfektion der militärischen Ausrüstung, der Bewaffnung und der Kampftechniken. Rund um jeden Panzerreiter (loricati) und seine Hauptwaffe bildete sich die kleinste Militäreinheit „gleve“ (= Lanze). Zur gleve gehörten neben dem Ritter mindestens ein Waffenknecht und drei Pferde (zwei Reitpferde und ein Packpferd). Häufig reiste aber auch noch ein Knappe mit, was wiederum ein Pferd mehr erforderte. Außerdem führten die reicheren Krieger für den Kampfeinsatz in der Regel noch ein groß gewachsenes, starkes Schlachtross mit.

Wenn der Ritter nicht im Kampfauftrag unterwegs sein musste, übte er zu Hause seine militärischen Fähigkeiten. Aus diesen Übungen entstanden später große Publikumsveranstaltungen. Das in unserer Zeit im Film oder auf Mittelalterspektakeln immer wieder als „Turnier“ gezeigte Lanzenstechen zwischen zwei Reitern hieß damals Tjost. Daneben gab es das „Turnei“ als Verbandsgefechtsübung einschließlich der Fußtruppen. Und schließlich den "Buhurt" als reiterlichen Gruppenwettkampf.

Zum Rittertum zählten aber auch die zivilen charakterlichen Tugenden: die Haltung und das Verhalten des Ritters innerhalb der Gesellschaft.

Zuerst hatte er seinem Herren und Lehensgeber sowie dessen Familie treu zu dienen. Er musste aber auch für das Wohlergehen seinen eigenen Schutzbefohlenen sorgen: der Bauernfamilien mit ihrem Gesinde auf seinem Wirtschaftshof und auf den ihm übertragenen Ländereien, seiner Waffenknechte sowie der Pagen und Knappen, die ihm zur Erziehung und Kampfausbildung anvertraut worden waren. Für die Existenzsicherung seiner eigenen Familie war es notwendig, sich das so genannte Freie Eigen (damals Allod genannt) zu erhalten. Das Mindesteigentum war ein Gutshof mit Äckern, Wald und etwas Vieh, damit er nicht ausschließlich vom Ertrag seiner Lehen abhängig war. Je mächtiger der Lehensgeber und je unbedeutender der Ritter, desto größer die Gefahr, dass er in Ungnade fiel und seine Lehen verlor.

Allgemeine ritterliche Ideale waren damals Kampfesmut, eine demütige, christlich-fromme Lebensweise, der Schutz der Armen und Bedürftigen, die Beständigkeit (staete) und die Mäßigung (maze). Unter Höfischheit (hövescheit oder curialitas) verstand man einen Katalog von Tugenden und Lebensformen; Vorbilder, nach denen auch der Ritter streben sollte, der keinen Zugang zu den großen Herrscherhöfen hatte: Z.B. ein gepflegtes Erscheinungsbild, höfliche(höfische) Umgangsformen, Achtung der Frauen sowie Dienstbereitschaft für ihre Anliegen und Wünsche…

Aus dieser Haltung machten Minnesänger wie Wolfram von Eschenbach, Walter von der Vogelweide oder Hartmut von Aue mit ihren Sagen, Gedichten und Liedern eine neue Kultur.

Viele dieser Künstler stammten aus dem Stand der Ministerialen und hatten durch klösterliche Erziehung schreiben und lesen sowie das Bildungswissen ihrer Zeit erlernt. Die Masse der Bevölkerung einschließlich des Adels und der Ritter waren Analphabeten und wenig gebildet.

Erst im Verlauf zweier Jahrhunderte während der Kreuzzüge zu den angeblich gefährdeten Heiligen Stätten in Palästina (etwa ab dem Jahr 1100) entstanden das Ideal des Ritters als Gotteskrieger und die auch christlich-karitativ wirkenden Ritterorden (z.B. Templer und Johanniter).

Ob der in Filmen immer wieder gezeigte „Ritterschlag“ als Aufnahmeritual in diesen Gesellschaftsstand tatsächlich überall praktiziert wurde, darf bezweifelt werden. Die ältere Schwertleite, das Umgürten des volljährigen Knappen mit einem Schwert, dürfte weiter verbreitet gewesen sein. Ebenso die kirchliche Weihe von Waffenträgern. Jedenfalls war es durch einen derartigen öffentlichen, formalen Akt auch Bauern und städtischen Bürgern möglich, in den Ritterstand aufzusteigen.

Im 13. Jahrhundert wurde aus dem Berufsstand des Ritters sogar ein Geburtsstand (genus militare).

Trotzdem verzichteten viele Ritterbürtige aus dem Stand der Dienstleute (des niederen Adels) bewusst darauf, zum Ritter erhoben zu werden. Obwohl ihre Bestimmung und Berufung das Soldatentum war, scheuten sie wegen der damit verbundenen Kosten und der Verantwortung den höheren „Dienstgrad“. Sie blieben auf der Stufe des älteren Knappen oder des Waffen- und Edelknechts, der nur für seine eigene Ausrüstung und Bewaffnung zu sorgen hatte.

Die soziale Oberschicht (der alte und hohe Adel) verlor nun mehr und mehr das Interesse am Soldatendienst. Die alten Geschlechter betonten ihre freie Geburt und grenzten sich gegenüber den „Emporkömmlingen“ auf der untersten Adelsebene ab.

Zum schleichenden Niedergang des Rittertums trugen viele Einflüsse bei.

Es begann mit der Zunahme der landwirtschaftlichen Flächen durch die Kolonisation bisher unerschlossener Reichsgebiete und die Waldrodung. Dann folgten die Pestwellen des 14.Jahrhunderts. So kam es zum Preisverfall für landwirtschaftliche Produkte durch ein Überangebot und eine dezimiert Bevölkerung einerseits; andererseits zu einem enormen Preisanstieg für gewerbliche Produkte aus den Städten, auf die der Ritter angewiesen war. Tauschhandel war ausgeschlossen; die wenigen Anbieter (Handwerker und Händler) verlangten Bezahlung in Geld oder Schuldbriefen. Viele Ritter verarmten deshalb und gingen im Bauernstand auf. Andere verfielen darauf, angebliche oder tatsächliche Forderungen z.B. für Geleitschutz, geleisteten Kriegsdienst und dabei erlittenen Schäden oder für Landübertragungen durch die so genannte Fehde mit Gewalt einzutreiben. Als Raubritter (damals Placker genannt) überfielen sie Kaufmannszüge, entführten Angehörige der reichen Bürgerschaft und verlangten Lösegeld für diese Geiseln. Wieder andere schlossen sich den neu entstehenden Heerhaufen aus bezahlten Soldaten (Söldnern) der niederen Bevölkerungsschichten an. Eine weitere Gruppe wechselte in die Dienste von Stadtverwaltungen.

Der Ritterstand litt nicht zuletzt unter den gewaltigen herrschaftspolitischen Veränderungen.

Das Interregnum (die „schreckliche kaiserlose Zeit“) Mitte des 13. Jahrhunderts verdeutlichte schon den Machtverfall des Königs und des Kaisers im Heiligen Römischen Reich. Die Fürsten wollten keine starke königliche Zentralgewalt und verfolgten eigene, landesherrschaftliche Interessen. Die Reichsstädte entwickelten sich zu neuen Machtfaktoren. Auf allen gesellschaftlichen Ebenen begannen Auseinandersetzungen und Kämpfe um Pfründe und die Vorherrschaft. Mehr oder weniger exotische Könige und Gegenkönige wie Wilhelm von Holland, Heinrich von Cornwall, Ludwig der Bayer und Friedrich der Schöne von Österreich sind Ausdruck eines ganzen Jahrhunderts der Instabilität und der Bruderkriege. Abhängige Ritter konnten schnell dem politisch falschen Lager angehören und dadurch ihre Existenz verlieren. Durch die immer wieder geforderten Kampfeinsätze bei Fehden, Scharmützeln und Schlachten kam es häufig zu lebensbedrohlichen Verletzungen und Todesfällen.

Im Spätmittelalter schlossen sich die noch bestehenden, von der Landwirtschaft lebenden Rittergeschlechter zu  „Reichsritterschaften“ zusammen, um durch die Unterstützung des Königs und die Förderung der Zentralgewalt ihre weitere Existenz zu sichern. Andere Angehörige von Ritterfamilien fanden Lohn und Brot, indem sie Ämter in den neu entstehenden Landesfürstentümern übernahmen.

Die Mehrzahl der alten Ritterdynastien starb aber mangels männlichen Nachwuchses aus. Unter den wenigen heute noch anzutreffenden Familien, die den untersten Adelstitel „Ritter von…“ führen, dürften die wenigsten tatsächlich ritterlicher Abstammung sein. In Bayern verliehen die Könige diese Titel in Nach-napoleonischer-Zeit an verdiente Staatsbürger wie Bankiers und Industrielle. Wer damals genug Geld besaß, konnte sich die „Ritterwürde“ sogar kaufen. Dazu musste man nur ein ehemals ritterliches Anwesen erwerben.