Stuttgart-Untertürkheim, Juni 1971

Eine Nacht im frühen Juni 1971. Der Tag war heiß gewesen. Jetzt kündigen Wetterleuchten und leichtes Donnergrollen ein aufziehendes Gewitter an. Durch die gekippten Fenster meines Zimmers streicht ein Lufthauch. Heute schlafe ich schlecht, wälze mich im Bett hin und her, werde mal wach und dämmere dann wieder ein...

Mein Domizil befindet sich in Stuttgart-Untertürkheim im ersten Stock des Hauses Widdersteinstraße 17. Hier wohne ich zusammen mit meinem Freund Winnie und dessen Freundin Hanne. Mein Zimmer nimmt die ganze Straßenbreite des schmalen Häuschens ein. Die Mitbewohner schlafen am anderen Ende der lang gestreckten Wohnung. Dazwischen der Flur mit den Nebenräumen Bad und WC, die Eingangsdiele, die Küche und das Wohnzimmer. Direkt unter meinem Zimmer liegt ein ehemaliger Bäckerladen, der in eine Tchibo-Kaffeefiliale umgewandelt wurde. Weiter hinten im Erdgeschoß des Hauses arbeitet immer noch der Bäcker, der früher vorne an der Straße seine Backwaren verkauft hatte. Arbeitsbeginn für ihn ist drei Uhr nachts.

Als ich nach eine kurzen Schlafphase mal wieder wach werde, höre ich, dass unten die Haus-Eingangstür aufgeschlossen wird. Ah, der Bäcker kommt, denke ich mir. Doch dann klappert nicht die Tür zur Backstube. Da sind Schritte auf der Treppe. Sie führt zu unserer Wohnung und der darüber liegenden Dachwohnung des portugiesischen Ehepaars herauf. Das gleichmäßige Tak-tak-tak der Schritte macht nun aber an unserer Wohnungstür halt. Und dann wird die Tür aufgesperrt!!!

Das knallharte Schrittgeräusch beginnt erneut - und kommt durch den Flur meinem Zimmer entgegen... Wenn ich anfangs dachte, dass das alles ein Traum sein könnte, dann weiß ich spätestens jetzt, dass ich hellwach bin und mich zu Tode erschrocken aufrecht sitzend an die Wand hinter meinem Bett gelehnt habe. Ein Schauer läuft durch meinen Körper - ins Zimmer weht ein eiskalter Hauch... Dann erscheint ER, bleibt mitten im Zimmer schräg hinter meiner abgehängten Deckenlampe stehen: die dunkle, schwarz verschattete Silhouette einer Gestalt. ER trägt so etwas wie einen Kardinalshut und einen weiten Umhang. Sein Gesicht ist unkenntlich schwarz. ER hebt die rechte Hand, winkt wie zum Gruß - und löst sich in der Sekunde danach in einem kalten Lufthauch auf...

Nun hält mich nichts mehr im Bett. Das Erlebte hat mich so erschüttert, dass ich unbedingt darüber reden muss! Winnie und Hanne kommen mir schon aus dem Schlafzimmer entgegen. Auch sie haben das Aufsperren unserer Wohnungstür und die Schritte in der Wohnung gehört. Ich erzähle ihnen von der Erscheinung in meinem Zimmer. Gemeinsam stellen wir fest, dass die Wohnungstür verschlossen ist, sitzen dann noch eine Weile in der Küche und gönnen uns einen Schlummertrunk. Wir finden keine Erklärung für das Phänomen...

Am nächsten Tag bekomme ich an der Arbeitsstelle einen Anruf von meiner Mutter.

Sie sagt mir, dass mein Pate Fritz in Marktredwitz gestern Nacht ganz plötzlich an Herzversagen gestorben sei. Im Alter von 46 Jahren.

Ich mochte ihn sehr. Und er mich wohl auch. In meiner Kindheit und frühen Jugend hatten wir uns öfter getroffen. Zwischen uns bestand eine innere Verbundenheit - die sich zuletzt in dem dramatischen Besuch eines Todesboten äußerte...

Das von meinen Freunden halb miterlebte Geschehen in der Nacht vom 9. auf den 10. Juni 1971 lässt sich wohl nur aus einer übersinnlichen, metaphysischen Dimension erklären.