M47-Panzer wie diesen bekamen wir als Kinder häufiger zu sehen.
M47-Panzer wie diesen bekamen wir als Kinder häufiger zu sehen.

Weitere Abenteuer mit den Amis - und mit Spezialfahrzeugen

Mehrmals im Jahr ging eine immer wieder sehnlich erwartetete Botschaft durchs Dorf: "Die Panzer kommen!" Wir Kinder an der Hauptstraße bemerkten das dumpfe Dröhnen und quietschende Rasseln als erste und schon lange bevor die Kolonne zu sehen war. Also rannten oder fuhren gleich Melder los, um die anderen auf das große Ereignis aufmerksam zu machen. Seltener kamen die Angst erregenden Stahlkolosse durch die Hauptstraße direkt an unserem Haus und grade mal zwei Meter an uns vorbei, wobei der Lärm ohrenbetäubend wurde, stinkende schwarze Abgaswolken in der Luft hingen und der Boden vibrierte. Meistens bogen sie gleich am Ortseingang von Erlangen her nach rechts ein, um über die Regnitzbrücke in Richtung Westen weiter zu fahren. Immer bildete sich entlang der Straße ein Spalier neugieriger, laut schreiender Kinder. Als ich zum ersten Mal dabei war, verstand ich nicht recht, was die anderen da riefen. Ein älterer Junge klärte mich auf: "Du musst 'Schwingum-Schwingum' schreien". Was das bedeutete, merkte ich gleich, als prompt von einem vorbeifahrenden Lkw heraus ein kleines, weißes, länglich-schmales Päckchen geflogen kam. Mein erster Kaugummi: "Wrigley's Spearmint Chewing Gum". Selbst zu Weihnachten bekam man bei uns nicht etwas derartig Gutes und Exotisches. Jeder Kaustreifen ein Genuß!

Amerikanische Militärfahrzeuge, Panzer und Soldaten zu beobachten war nicht nur eindrucksvoll, sondern meistens auch lohnend. Vornweg und hinterher fuhren Jeeps der Militärpolizei, aus denen Stabantennen wippend aufragten. Die Männer darin in schmucken grünen Uniformen, schönen bunten Abzeichen darauf und Armbinden; sie trugen Helme, auf denen die großen weißen Buchstaben MP leuchteten; hatten beeindruckende Pistolentaschen an breiten Gürteln umgeschnallt... Dann kamen Lastwagen mit Anhängern, Kampfpanzer mit großen bedrohlichen Kanonenrohren und kastenartige Mannschaftspanzer. Aus allen Fahrzeugen winkten Soldaten, riefen etwas heraus und warfen uns unschätzbare Kostbarkeiten zu: Kaugummis, kleine Schokoladetäfelchen oder Dosen, die zum Beispiel besonders fruchtige Marmeladen enthielten.

 

Eine ganz andere, weniger erfeuliche Begegnung mit dem amerikanischen Militär hatte ich einmal während der Sommerferien zusammen mit meiner Mutter, deren Mutter und einigen anderen Frauen. Wir fuhren mit den Fahrrädern in den Reichswald bei Tennenlohe zum Pflücken von Schwarzbeeren. Ich saß auf dem Rad meiner Mutter hinten auf dem Gepäckträger. Bei Tennenlohe befand sich ein ausgedehnter Schießplatz der US Army, der schon vor dem Zweiten Weltkrieg von der Wehrmacht eingerichtet worden war. Gerade hier auf den sandigen Böden dieses Kiefernwald-Gebiets wuchsen Schwarzbeeren in rauen Mengen...

Als unsere Frauschaft und ich Männlein die ersten Pflückeimer geleert hatten, da setzte mit einem Mal ein lautes Rattern ein, dem sofort ein heulendes Pfeifen mit dumpfen Platzgeräuschen rund um uns im Wald und über unseren Köpfen folgten. Von oben herab regnete es Rindenstücke und Holzsplitter... Einige Sekunden hockten alle noch in der vorherigen Pflückhaltung - aber dann war die Situation erfasst: wir werden beschossen! Ohne irgendein Kommando sprangen die Frauen auf, ließen alles stehen und liegen und rannten zu den Fahrrädern. Meine Mutter saß schon drauf und fuhr los, als ich ankam und von hinten aufspringen wollte. Vor lauter Angst wollte das aber nicht gelingen. Ich kam nicht weit genug nach vorne auf den Gepäckträgersitz und rutschte wieder nach hinten ab. Auf meinen Zuruf hin blieb sie immerhin kurz stehen, so dass ich richtig aufsitzen konnte. Die Frauen strampelten mit aller Kraft den Waldweg zurück, auf dem wir gekommen waren. Es ratterte, knatterte und spreißelte noch eine kurze Weile - doch bald schon waren wir überglücklich, der großen Lebensgefahr und der Tücke des Tennenloher Schießplatzes heil entkommen zu sein.

Dieses weitläufige Waldgebiet war nämlich keineswegs abgesperrt und unzugänglich. Nur an den Hauptzufahrtswegen standen Schranken und bewaffnete Posten. Eine Umzäunung war nicht vorhanden. Über Nebenwege und Pfade konnte man jederzeit auf das Gelände gelangen. Ob irgendwo irgendwann geschossen werden würde, erkannte man nur daran, dass an den Haupt-Einfahrtswegen rote Flaggen aufgezogen waren. Wer über einen anderen Weg aufs Gelände kam, konnte deshalb unversehens ins Zielgebiet einer Schießübung geraten. Wir hatten uns ausgerechnet das Waldstück zur Schwarzbeer-Ernte ausgesucht, in das auch einige Panzer-Maschinengewehrschützen feuerten.

Auf dem Tennenloher Schießplatz übte die US Army unter anderem das Scharfschießen mit Granatwerfern und schweren MG sowie das Schießen mit Panzerkanonen. Zwar nicht mit Explosivgeschossen, aber immerhin mit Treibladungs-Übungsgranaten schossen die Panzer sogar mehrere Kilometer weit in den höher gelegenen östlichen Teil des Geländes hinein. Durch den hindurch führte noch dazu eine öffentliche und ständig befahrene Ortsverbindungsstraße.

 

Die Präsenz der amerikanischen Garnison in Erlangen war auch bei uns im Vorort Bruck das ganze Jahr über bemerkbar. Nicht nur wegen durchfahrender Militärfahrzeuge oder ganzer Konvois - auch einzelne weiße und farbige Soldaten in Uniform oder Zivil traf man gelegentlich auf der Straße, in Läden oder Gaststätten. Außerdem verkehrten durch den Ortskern von Bruck hindurch regelmäßig die weiß lackierten Müll-Transporter der Army, die am südöstlichen Ortsrand auf einer großen Müllkippe ihre Lasten abluden. Dabei stieß eines Tages ein US-Lkw mit der Dampflok der Nebenbahn von Erlangen nach Herzogenaurach zusammen. Die kleine schwarze Lokomotive hatte von den Bruckern den Spitznamen "Fuchtel" bekommen, weil sie den Hang hinauf nach dem Regnitzübergang von Herzogenaurach her kommend gar so zornig fauchte und dunkle Rauchwolken auskeuchte. Kurz nach dem Scheitelpunkt der Steigung führte die Stichstraße zur US-Müllkippe unbeschrankt über das Bahngleis. Als sich Lok und Speziallaster in die Quere kamen, warf die wuchtige Lok den Laster zur Seite, schob ihn etliche Meter vor sich her und wurde schließlich von dem Hindernis aus den Schienen nach oben gedrückt. Im Führerhaus des Lkw brach Feuer aus und der Fahrer verbrannte darin. Auf meinem nagelneuen ersten Fahrrad sauste damals auch ich zur Unfallstelle - wo die Fuchtel über dem halb zermalmten, gerade gelöschten Lkw in der Luft hing und wir Kinder noch einen Blick auf den grausig verkohlten Körper im Wrack erhaschen konnten.

Wenn ich ohne die Gesellschaft eines Freundes oder Spielkameraden allein zu Hause war, beschäftigte ich mich oft mit Natur- und Vogelbeobachtungen. Ich setzte mich auf eine Treppe, schaute in den Himmel, verfolgte Wolkenformationen und den regen Vogel-Flugverkehr. Brieftaubenschwärme drehten ihre Runden, große Schwalbenkolonien übten den Kunstflug, die auf dem Brucker Schlösschen brütenden Störche schwebten majestätisch über die Hausdächer und dazwischen kreisten Raubvögel im Aufwind. Bei dieser Himmelsüberwachung kamen häufig auch künstliche Flugobjekte ins Bild: Werbe-Zeppeline, Doppeldecker-Flieger, die große Werbebanner hinter sich her schleppten, Wetterballons, kleine Hochdecker-Kurierflugzeuge und schwere Transporthubschrauber der Amerikaner. Bei der Verfolgung der Flugrouten stellte ich fest, dass die Kuriermaschinen regelmäßig zur US-Garnison nach Herzogenaurach flogen und wohl zwischen Erlangen und Herzogenaurach verkehrten. Von einem Standort vorne an der Hauptstraße bei der Einmündung unsere Gasse konnte ich sogar bis etliche Kilometer weit zur Hochfläche hinauf bei Herzogenaurach sehen, wo einzelne Gebäude-Silhouetten der Kaserne aufragten.

Daneben faszinierten mich auch Bodenbewegungen direkt im Ort wie etwa das Auftauchen großer deutscher Lastkraftwagen. Ich schaute oft andächtig zu, wie die Fahrer ihre schweren Zugmaschinen mit Anhängern rückwärts durch enge Toreinfahrten in Betriebshöfe hinein manövrierten. Wie oft musste da hin und her rangiert und gegen gelenkt werden - Schwerstarbeit am Lenkrad, weil es damals die Servounterstützung noch nicht gab.

Noch interessanter waren die schweren MAN-Diesel-Nahverkehrsbusse mit Personenanhänger, die täglich im Linienverkehr durch den Ort fuhren. Die kistenartigen Fahrzeuge in dunkelgrün-beigem Zweifarbenlook besaßen eine lange Motorhaube und eine kräftige Stoßstange, auf der beidseitig so etwas wie ein Eckstab mit Knopf aufragte. Beim Fahren vibrierten die Stäbe heftig. Wahrscheinlich sollten sie dem hinter der langen Motorhaube sitzenden Fahrer anzeigen, wie weit sein Gefährt nach vorne und seitlich ausragte. Hin und wieder durfte ich in einem dieser Linienbusse mal mit nach Erlangen und wieder zurück fahren. Die Innenausstattung bestand aus spartanischen Holzbänken. Jeder Bus mit Anhänger brauchte damals drei Personen Betriebspersonal: den Fahrer und je einen Schaffner oder eine Schaffnerin in Bus und Anhänger. Alle trugen dunkelblaue Uniformen mit silbernen Paspeln - dazu gehörte für Männer eine Schirmmütze, für Frauen ein schickes Schiffchen. Die linke Brustseite der Uniformjacken schmückte ein Silberschnur-Gehänge mit zwei Troddeln.

Die Fahrkarten wurden vom Schaffner direkt im Bus verkauft. Er oder sie gingen herum und fragten in die Passagierrunde "Noch jemand ohne?" Die Fahrkarte kam aus einem umgehängten Kasten - und dort hinein wanderte auch das Fahrgeld. Für die Münz- und Wechselbeträge war der Kasten mit einem Magazin aus aneinander gereihten Metall-Röhrchenschächten bestückt. Durch Druck auf kleine Hebel, öffneten sich die unteren Schachtverschlüsse und ließen die gewünschten Münzen herauspurzeln. Eine weitere Aufgabe der Schaffner war das Ausrufen der Haltestellen. Eine konkrete Ansage lautete beispielsweise: "Nächste: Kanalbrücke". Zum Auslösen des Haltesignals für den Fahrer hing unter dem Fahrzeugdach ein Schnurzug. Wollte man aussteigen, zog man die Schnur leicht nach unten. Dadurch wurde ein mechanischer Kontakt ausgelöst, der vorne am Armaturenbrett ein grünes Signallämpchen aufleuchten ließ. Der Fahrer schaltete das mechanische Busgetriebe mit einem langen, stets im Dieselmotor-Schüttelrhythmus mitwackelnden Boden-Schalthebel und der Kupplung wie folgt: Auskuppeln, Schalthebel in den Leerlauf; Zwischengas geben; Einkuppeln; Zwischengas geben; Schalthebel in die Gangstufe einlegen. Beim Anhalten bediente er die hydraulisch betätigten Fahrzeugtüren per Knopfdruck - ein rotes Lämpchen leuchtete am Armaturenbrett - ein heftiges Zischgeräusch ertönte und die Türen schoben sich leicht wackelnd zurück.