Israel-Reisegruppe, Evangelische Thomas-Gemeinde Erlangen, Jerusalem 1992
Israel-Reisegruppe, Evangelische Thomas-Gemeinde Erlangen, Jerusalem 1992

Redebeitrag

zur Adventsfeier des VdK-Ortsverbands Hersbruck-Hefenfeld

am 28. November 2009

 

Heute vertrete ich Pfarrer Dr. Baumann aus Henfenfeld, der wegen einer Israelreise nicht kommen kann.

Im letzten Jahr hat Dr. Baumann von dem Palästinenserjungen in Bethlehem erzählt, der von der Gemeinde unterstützt wird.

In diesem Jahr will ich etwas von Israel erzählen, das ich aus eigenem Erleben schildern kann…

Zunächst aber noch einige Vorbemerkungen:

Zur Zeit von Jesu Geburt gehörte das Gebiet des Staates Israel zur Provinz Palästina im römischen Weltreich.

Nach der Staatsgründung im Jahr 1948 haben sich einige Bedeutungen und Verhältnisse geändert. Als Palästinenser wurden in der Folge die arabischen Bewohner bezeichnet, die keine israelischen Staatsbürger sind.

Aber natürlich kann man viele Dinge wie etwa die Landschaft und bestimmte Orte heute noch nach den Beschreibungen in der Bibel erkennen.

Mit dem lateinischen Wort „Advent“, das Ankunft bedeutet, wird in der christlichen Welt auf die bevorstehende Geburt des Heilands hingewiesen.

 

Auch ich bin in Israel angekommen. Das erste Mal im Oktober 1971 als freiwilliger Kibbuzmitarbeiter. Das zweite Mal mit meiner Frau und Tochter Anfang März 1992 als Teilnehmer einer christlichen Reisegruppe.

Schon durch die Zeitdifferenz von 20 Jahren und die sehr unterschiedlichen Bedingungen dieser Reisen ergaben sich auch ganz andere Eindrücke.

Noch einmal 18 Jahre später sind die Lebensumstände für die palästinensische Bevölkerung weiter verschlechtert. Die schon 1947 vorgesehene Zwei-Staaten-Lösung ist immer noch nicht erreicht. Stattdessen wurde das Land zum Nachteil der Palästinenser geteilt. In ihren Autonomiegebieten entstehen weitere Siedlungen religiös-fundamentalistischer israelischer Siedler. Rund um den Gazastreifen im Süden hat Israel eine Schutzmauer gezogen, die das Einsickern von Terroristen und Selbstmordattentätern verhindern soll. Selbst Bethlehem, die Stadt in der Jesus geboren wurde, ist hermetisch abgeriegelt. Im Jahr 1991 haben wir dort in einem preiswerten Pilgerhotel ganz in der Nähe der Geburtskirche übernachtet, das von einer christlichen Palästinenserfamilie geführt wurde. Inzwischen mussten viele Hotels dort schließen, weil kaum mehr Besucher kommen…

 

Doch nun zu meiner ersten Reise im Jahr 1971:

Damals waren meine Vorstellungen vom Judentum und von dem, was mich in Israel erwarten würde, sehr begrenzt. Ich fühlte nur, dass der Völkermord von Hitlerdeutschland an den Juden so unsäglich grausam gewesen war, dass auch ich als Nachkriegsgeborener einen Versöhnungsbeitrag leisten musste.

Dieses Gefühl in mir entstand schon als Kind. Damals hörte mein Vater an Freitagabenden öfter die Sabbatfeier der jüdischen Kultusgemeinde in München mit dem Rabbiner „Baruch Graubart“ im Radio. Ohne irgendetwas über das Judentum zu wissen, geschweige denn auch nur ein Wort zu verstehen, hörte ich aus den hebräischen Gesängen des Kantors damals schon das Leid, das Elend und die Klage eines immer wieder geschlagenen Volks.

Für meine private Solidaritätsaktion hatte ich mir die freiwillige Mitarbeit in einem Kibbuz ausgesucht, weil mich diese sozialistische Gesellschaftsform im besten Sturm- und Drangalter von 22 Jahren besonders interessierte. Ich konnte im Oktober 1971 losfahren und bis Ende Februar 1972 in Israel bleiben.

Also nahm ich Kontakt mit einer der Kibbuz-Dachorganisationen in Tel-Aviv auf und bat um Vermittlung einer Stelle. Dann besorgte ich mir ein billiges Hin- und Rückfahrtticket von einer italienischen Schifffahrtslinie – und los ging’s. Erst mit dem Zug nach Triest – und dann per sechstägiger Schiffsreise über Venedig, Brindisi, Patras, durch den Kanal von Corinth nach Piräus, dann nach Limmasol auf Zypern und schließlich nach Haifa.

Diese Reise selbst, die Vielzahl der Erlebnisse und die menschlichen Begegnungen dabei wären schon alleine eine Geschichte für sich…

Mitte Oktober 1971 bin ich in Haifa angekommen. An Land ist es beinahe unerträglich heiß mit einer Temperatur von weit über 30 Grad. Fürchterlich schwitzend warte ich im Busbahnhof im Hafen auf den jungen Mann, den ich auf dem Schiff kennen gelernt habe, und der mich mit seinem Auto nach Tel-Aviv mitnehmen will. Sein Peugot war mit dem Schiffskran und einem Netz auf Deck gehievt worden und muss nun erst wieder abgeladen werden. Ich stehe also und sehe gedankenverloren den Bussen zu, die ein- und ausfahren, beobachte das bunte Gewirr von Passagieren… Gerade ist vor mir wieder ein Bus eingefahren; die Fahrgäste und der Fahrer sind ausgestiegen –

plötzlich: ein ohrenbetäubender Knall und eine Druckwelle, sirrend fliegen Trümmerteile an mir vorbei… Wie im Zeitlupentempo lasse ich mich hinter den Stamm der Palme fallen, neben der ich stehe – ich höre immer noch den Knall, die Umweltgeräusche sind ganz gedämpft, als ob ich Watte in den Ohren hätte… Wie in Trance rapple ich mich wieder auf und sehe nun erst, dass der gerade eingefahrene Bus im vorderen Teil völlig aufgerissen und zerstört ist. Im Dach und im Seitenteil über dem rechten vorderen Radkasten klaffen riesige, scharfkantig gezackte Löcher. Alle Scheiben sind geborsten. Überall liegen Glassplitter und Blechtrümmer. Als nun noch Sirenengeheul ertönt und Polizeijeeps und Krankenwagen um die Ecke gerast kommen, da wird mir erst langsam bewusst, dass ich wohl Augenzeuge einer Bombenexplosion geworden bin. Besser gesagt: Eines nicht ganz gelungen Bombenanschlags!

Weil der Bus zwischen anderen leeren Bussen stand und alle schon ausgestiegen waren, gab es keine Verletzten oder Tote. Die Polizisten sprangen von ihren Fahrzeugen und griffen sich – wie es mir vorkam – alle der im Umkreis anwesenden arabisch aussehenden Personen. Von mir nahmen sie überhaupt keine Notiz.

Der Gedanke, dass ich selbst der einzige Schwerverletzte oder Tote hätte sein können, kam mir damals gar nicht. Der erste Schock und das Ohrensausen waren bald vergangen. Die Nachwirkungen des Erlebten kamen erst sehr viel später…

 

Als meinen Einsatzort hatte ich mir den Kibbuz Yifat am Nordrand des Jesreel-Tals in Galiläa ausgesucht. In dieses breite und 20 Kilometer lange Tal mit Blick auf den Berg Tabor kamen ab 1911 die ersten zionistischen Siedler aus Europa. Sie entwässerten die Sümpfe und machten das Land urbar. Vorher hatte der Jüdische Nationalfonds diese unfruchtbaren, Malaria verseuchten Flächen arabischen Großgrundbesitzern abgekauft, die im Libanon lebten.

Im Jahr 1917 wurde Theodor Herzls Zionismus-Projekt auch weltpolitisch anerkannt: der britische Außenministers Lord Balfour verfasste die berühmte Erklärung, nach der die überall auf der Welt verstreut in der Diaspora lebenden Juden in Palästina eine nationale Heimstätte erhalten sollten.

Der Kibbuz Yifat war 1954 von überlebenden Auswanderern des Holocaust gegründet worden. Dazu gehörten auch etliche Deutsche. Unmittelbar über dem Kibbuz auf einem Hügel liegt der arabische Ort Migdal Ha-Emek - „Turm“ oder „Wächter des Tales“.

Und nicht weit dahinter, noch etwas höher gelegen im galiläischen Bergland thront Nazareth: der Ort in dem Jesus aufwuchs.

Ich fühlte mich in Israel und vor Ort gut aufgenommen. Vorbehalte oder gar Ablehnung gegenüber meiner Person als Deutscher habe ich nie erlebt. Ob Ich Jude, Christ oder sonst was war, hat niemanden interessiert. Die KZ-Überlebenden zeigten ihre im Unterarm eintätowierte Gefangenennummer, die aus Deutschland stammenden sprachen selbstverständlich Deutsch, ein Reservistensoldat, der an den Jordanquellen Wache hielt, wollte mir seine Uzi-Maschinenpistole zum Schießen geben, nachdem ich ihm erzählt hatte, dass ich die Waffe von der Bundeswehr her kannte. Auf einer Rundreise zusammen mit einem Mädchen aus Berlin wurden wir in Jerusalem von der Straße weg zum Abendessen eingeladen.

In Tel Aviv bat mich ein junger Mann um eine Zigarette, und als ich ihm einer meiner Roth-Händle anbot, da erzählte er mir gleich, dass er schon in München und Düsseldorf gewesen war…

Abgesehen vom Erlebnis des Bombenanschlags hatte ich nur eine wirklich negative Erfahrung: bei unserer Übernachtung in einer Jugendherberge in Jerusalem wurde mir der Großteil meines Gelds gestohlen, weil ich es leichtsinnigerweise im Gepäck auf dem Zimmer gelassen hatte. Das hatte allerdings zur Folge, dass die Rundreise nur bis zum Kibbuz Ein Gedi am Toten Meer und nicht wie vorgesehen weiter bis Eilat am Roten Meer und bis zur Südspitze der Sinaihalbinsel führen konnte.

Außerdem konnte ich nicht mehr bis Februar des nächsten Jahres bleiben und musste schon Ende November wieder nach Hause fahren.

Der Bombenanschlag geht auf das Konto der höchst unsicheren Zeit zwischen zwei Kriegen: dem Sechstagekrieg von 1967 und dem Jom-Kippur-Krieg von 1973.

Wie schon 1948 beim Unabhängigkeitskrieg wollten die umliegenden arabischen Staaten Israel von der Landkarte tilgen und die Bevölkerung ins Meer treiben…

Im Advent 2009 existiert der Staat Israel zwar noch – aber die Lage im Heiligen Land ist nach wie vor nicht sicher. Bei aller berechtigten Kritik an der Politik der Israelischen Regierung muss man aber berücksichtigen, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung die Orthodoxensiedlungen in den Autonomiegebieten ablehnt und einen friedlichen Ausgleich mit den Palästinensern wünscht.

Hier in Deutschland muss man leider feststellen, dass es unter uns Christen nach wie vor Ewiggestrige und Unbelehrbare gibt, denen die Weltwirtschafts- und Finanzkrise wieder einmal Munition für ihren unsäglichen Judenhass liefert. Immer wieder zitieren dann diese Zeitgenossen die abstruse Verschwörungstheorie aus dem 19.Jahrhundert, nach der die so genannte Hochfinanz von Juden beherrscht wird, die die Geldströme weltweit zum eigenen Vorteil steuern und so schlichtweg für jedes Unglück des kleinen Mannes verantwortlich sind…

Trotz all des Unglücks, das die Nazis über Deutschland, die Juden und die Welt gebracht haben, sind diese Lügengeschichten heute noch im Umlauf.

Da grenzt es dann fast schon an ein Wunder, dass man die Geschichtenerzähler gerade zu Weihnachten doch in größerer Zahl in der Kirche findet.

Dafür bleibt dann nur eine Erklärung: Sie wissen auch nicht, dass Jesus Jude war!  

 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit

und wünsche uns allen eine besinnliche Adventszeit!

  

Blaue Markierung = Lage des Kibbuz Yifat
Blaue Markierung = Lage des Kibbuz Yifat